Wohnen frisst Einkommen
- louisdkaluschke
- 27. Sept. 2024
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 25. Nov.
Warum München & Berlin günstiger wirken, als sie sind – und warum Lissabon, London & Barcelona völlig eskalieren. Beispiel eines Wohngebäudes in Berlin-Schillerpark: Nach jahrelangem Boom verzeichnet der deutsche Wohnimmobilienmarkt seit 2023 sinkende Preise.

Preisentwicklungen am Wohnimmobilienmarkt
Nach über einem Jahrzehnt kontinuierlicher Preiszuwächse hat sich der Trend am deutschen Wohnungsmarkt jüngst gedreht. 2023 sanken die Wohnimmobilienpreise in Deutschland erstmals seit 2007 im Jahresvergleich . Laut Daten der Deutschen Bundesbank fielen die Preise für selbstgenutztes Wohneigentum 2023 im Schnitt um 4,1 % (nach noch +9 % im Jahr 2022) . In den sieben größten Städten (Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Köln, München, Stuttgart) betrug der Rückgang sogar rund 5 % . Eine Analyse des DIW Berlin bestätigt diese Entwicklung und spricht davon, dass die „spekulative Preisblase“ der letzten Dekade geplatzt ist . In einer Stichprobe von über 150 Städten waren 2023 Baugrundstücke, Einfamilienhäuser und Eigentumswohnungen durchschnittlich 2 % günstiger als ein Jahr zuvor – in Großstädten gaben die Preise für Baugrundstücke und Eigenheime teils bis zu 7 % nach . Insgesamt markiert 2023 damit die stärkste Preiskorrektur seit Beginn der Statistik im Jahr 2000 .
Diese Trendwende bedeutet jedoch nicht automatisch Entspannung für Kaufinteressenten. Der Einbruch folgt auf einen vorangegangenen historischen Boom: Von 2010 bis 2022 stiegen Wohnimmobilienpreise rasant, befeuert durch billigere Kredite und hohe Nachfrage . 2023 lag das durchschnittliche Preisniveau etwa 8,4 % unter dem Vorjahr – der stärkste Rückgang in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands . Fachleute betonen allerdings, dass trotz der deutlichen Korrektur Überbewertungen nicht vollständig abgebaut sind und weitere Preisanpassungsrisiken bestehen . Mit anderen Worten: Die Preise sind zwar gefallen, aber insbesondere in begehrten Lagen könnten sie immer noch oberhalb fundamental gerechtfertigter Werte liegen, was zukünftige Preisrückgänge nicht ausschließt .
Mieten und Wohnungsnachfrage
Während Kaufpreise nachgaben, ziehen Wohnungsmieten weiter an. Viele potenzielle Käufer weichen aufgrund gestiegener Zinsen und Inflation auf den Mietmarkt aus, wodurch die Nachfrage nach Mietwohnungen zusätzlich steigt . Bundesbank-Daten zeigen, dass 2023 Neuvertragsmieten für Mehrfamilienhäuser um durchschnittlich 6,3 % zulegten; in den Top-7-Städten betrug der Anstieg nahezu 7 % . Auch das DIW registriert eine Mietpreissteigerung von rund 3 % im Jahresmittel 2023 – ein Wert, der angesichts des angespannten Wohnungsmarkts und hoher Zuwanderung wenig überrascht. Deutschland erlebte zuletzt starkes Bevölkerungswachstum bei gleichzeitig geringer Neubautätigkeit, was einen zusätzlichen Mietdruck erzeugt . In den Städten trifft eine anhaltend hohe Wohnraumnachfrage (u. a. durch Zuzug und Migration) auf knappes Angebot, sodass Experten von einem Fehlbestand von Hunderttausenden Wohnungen ausgehen . Diese Knappheit an verfügbaren Wohnungen treibt die Mieten kontinuierlich nach oben und verschärft die Wohnungsnot, insbesondere in Ballungszentren.
Die gestiegenen Lebenshaltungskosten und Finanzierungshürden beeinflussen zudem die Wohnpräferenzen. Haushalte mit geringem Eigenkapital verschieben den Eigentumserwerb und bleiben länger im Mietsegment . So hat die Zinswende – also der sprunghafte Anstieg der Hypothekenzinsen seit 2022 – zwar den Preisboom bei Immobilien abrupt beendet, gleichzeitig aber Mietwohnungen begehrter gemacht . Bereits 2022 waren Wohnimmobilienkredite deutlich teurer geworden (typische Sollzinsen stiegen bis Ende 2022 auf ~4 %, viermal so hoch wie ein Jahr zuvor ). Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass sich viele Haushalte vorerst für die Miete statt Kauf entscheiden, was in Kombination mit dem knappen Wohnungsangebot erheblich steigende Mieten zur Folge hatte.
Bauaktivität und Wohnungsangebot
Die Neubautätigkeit hat 2023 stark nachgelassen, was das ohnehin knappe Angebot weiter begrenzt. Steigende Baukosten, Lieferengpässe und höhere Finanzierungskosten haben zahlreiche Projekte ausgebremst . Laut Statistischem Bundesamt wurden von Januar bis Mai 2023 erst 94.000 Wohnungen genehmigt – 30,5 % weniger als im Vorjahreszeitraum . Besonders drastisch war der Rückgang bei Zweifamilienhäusern (Genehmigungen -53,5 %) und Einfamilienhäusern (-35,1 %) . Selbst im für den Wohnungsbau wichtigsten Segment der Mehrfamilienhäuser gab es ein Genehmigungsminus von über 26 % gegenüber dem Vorjahr . Diese Zahlen unterstreichen die Baukrise: Viele geplante Projekte werden verschoben oder abgesagt, was die Immobilienwirtschaft in einen Krisenmodus versetzt hat. Branchenverbände berichten von einer Stornierungswelle im Neubau . Die Fertigstellungszahlen sinken ebenfalls: Für 2024 rechnen Experten nur noch mit etwa 250.000 neuen Wohnungen, und 2025 könnten es nach ifo-Prognose sogar nur ca. 205.000 Fertigstellungen sein . Zum Vergleich: Die Bundesregierung hatte ursprünglich ein Ziel von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr (davon 100.000 Sozialwohnungen) ausgegeben – dieses Ziel gilt inzwischen als utopisch angesichts explodierter Bau- und Finanzierungskosten .
Die Baukosten sind in den letzten Jahren zweistellig gestiegen. Beispielsweise verteuerten sich Ausbauarbeiten (Innenausbau) bis Mai 2023 um +11,7 % gegenüber Vorjahr , Rohbauarbeiten um +5,4 % . Hohe Materialpreise (z. B. +15 % bei Heizungs- und Warmwasseranlagen ) und Lohnsteigerungen treiben die Kosten, was viele Bauprojekte unwirtschaftlich macht. Zinsbedingt gestraffte Finanzierungsbedingungen kommen erschwerend hinzu . All dies führt dazu, dass das Angebot an neuen Wohnungen hinter dem Bedarf zurückbleibt. 2022 wurden zwar noch rund 295.300 Wohnungen fertiggestellt , doch diese Zahl dürfte 2023 und 2024 deutlich unterschritten werden. Insgesamt wuchs der Wohnungsbestand Ende 2024 nur um 0,5 % auf ca. 43,4 Mio. Wohnungen in Deutschland – trotz Wohnraummangel ein historisch geringes Wachstum, das kaum mit der Haushaltszahl-Entwicklung Schritt hält. Im Zehnjahresvergleich 2014–2024 stieg der Bestand zwar um gut 6 % (2,5 Mio. Wohnungen) , doch in derselben Dekade ist die Durchschnittswohnfläche pro Person von 46,5 auf 49,2 m² gestiegen . Größere Pro-Kopf-Wohnflächen durch steigenden Wohlstand und mehr Single-Haushalte bedeuten, dass mehr Wohnraum pro Person benötigt wird – ein weiterer Grund, warum das Neubau-Defizit so spürbar ist.
Wirtschaftliche Auswirkungen und internationale Perspektive
Die Immobilienwirtschaft ist ein wichtiger Teil der Volkswirtschaft – und die aktuelle Schwächephase bleibt nicht ohne makroökonomische Folgen. Der Bausektor befindet sich seit 2022 in einer Rezession, was das Wirtschaftswachstum dämpft. Die reale Bauproduktion ist Schätzungen zufolge 2024 um fast 4 % geschrumpft und dürfte 2025 bereits das fünfte Jahr in Folge zurückgehen (nochmals ca. -1 %) . Einige große Projektentwickler und Bauträger gerieten in finanzielle Schieflage oder meldeten Insolvenz an, da Finanzierungen versiegen und Transaktionen stocken . Die Kombination aus höheren Zinsen, teuren Baustoffen und unsicherer Nachfrage hat eine Krise in der Baubranche ausgelöst, die inzwischen auch auf vorgelagerte Industrien und Handwerksbetriebe übergreift. So ist das Volumen neuer Wohnbaukredite drastisch eingebrochen: Im Juni 2023 lag das Neugeschäft für Hypotheken mit ~14 Mrd. € um 39 % unter Vorjahr – der schwächste Juni-Wert seit 2011 . Insgesamt hat sich das monatliche Kreditvolumen seit dem Höhepunkt Anfang 2022 (über 32 Mrd. € im April 2022) mehr als halbiert . Diese Kreditklemme bremst Investitionen zusätzlich. Allerdings deutete sich Ende 2023 eine gewisse Stabilisierung an: Da das Neugeschäft ab Winter 2022 auf niedrigem Niveau stagnierte, näherten sich die Jahresveränderungsraten allmählich der Nulllinie, was auf eine mögliche Bodenbildung hindeutet .
International ist die Abkühlung auf dem Wohnimmobilienmarkt ebenfalls spürbar, allerdings fällt sie je nach Land unterschiedlich aus. In vielen europäischen Ländern folgte auf die Zinswende eine ähnliche Preiswende wie in Deutschland, wenn auch teils weniger stark. Zum Beispiel verzeichneten 2023 auch Länder wie Schweden, Kanada oder Neuseeland deutliche Preisrückgänge nach vorherigen Boomjahren. Weltweit flachte das Hauspreiswachstum ab – laut einem globalen Index lag der Durchschnitt der Hauspreise im Jahr 2023 sogar leicht unter dem Vorjahresniveau . Im 3. Quartal 2023 sanken die Hauspreise global um ca. 2 % gegenüber dem Vorjahr, während Deutschland im selben Quartal mit über -10 % zu den Negativrekordhaltern gehörte . Deutschlands Immobilienmarkt steht damit exemplarisch für die Folgen eines Zinsanstiegs: Nach Jahren des preisgetriebenen Booms führten höhere Finanzierungskosten hier besonders schnell zu einer Korrektur. Dennoch bleibt Deutschland im internationalen Vergleich ein interessanter Markt – die demographischen Rahmenbedingungen (z. B. Zuwanderung, Urbanisierung) sorgen weiterhin für Grundnachfrage. Die aktuellen Studien mahnen jedoch, dass ohne politische Gegenmaßnahmen – etwa Beschleunigung von Genehmigungen, mehr sozialer Wohnungsbau und Anreize für Investoren – die Wohnungsnot bestehen bleibt . Die jüngsten Daten und Analysen zeichnen ein klares Bild: Die Wohnimmobilienbranche steht an einem Wendepunkt, und wie nachhaltig die Trendwende ausfällt, wird maßgeblich von wirtschaftspolitischen Weichenstellungen und der Zinsentwicklung abhängen.



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